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    Gendiagnostik ist aussichtsreich, Gentherapie liegt erst in weiter Ferne
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    Gendiagnostik ist aussichtsreich, Gentherapie liegt erst in weiter Ferne

    Gentechnologie und Gentherapie: "Was ist möglich? Wem nützt es? Wo stehen die Wissenschaftler? Und wie wird das Thema ethisch steuerbar durch die Mediziner selber?" Zum Interview-Auftakt in Düsseldorf stellte Prof. Dr. med. Werner Alfons Scherbaum diese Fragen selbst — sie wurden im Laufe des Gesprächs mit dem Ärztlichen Direktor des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDFI) beantwortet. Mit Scherbaum und Prof. Dr. med. Stephan Martin sprachen Manuel Ickrath und Günter Nuber (A.d.Red.:vom Diabetes-Journal).

    Diabetes-Journal (DJ):
    Philosophen, Theologen, Politiker und Journalisten diskutieren seit Monaten leidenschaftlich über die ethisch-moralischen Konsequenzen der Genforschung: Wo sehen Sie diesbezüglich Probleme bzw. Risiken?

    Prof. Dr. med. Werner Scherbaum,  Ärztlicher Direktor an der Deutschen Diabetes-Klinik des  Deutschen Diabetes-Zentrums Düsseldorf; Herausgeber www.diabetes-deutschland.de
    Prof. Dr. med.
    Werner Scherbaum
    Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum:

    Die aktuelle Debatte bezieht sich vor allem auf die umstrittene Forschung mit embryonalen Stammzellen. Embryonale Stammzellen eröffnen der Medizin auch bei der Behandlung des Diabetes — gänzlich neue Perspektiven. Für die Diabetologie bedeutet das, dass es evtl. möglich werden könnte, insulinproduzierende Betazellen in unbegrenzter Zahl in der Zellkultur herzustellen und Patienten mit Diabetes zu transplantieren. Für die Patienten könnte dann das lästige Insulinspritzen wegfallen. Bei der Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen bestehen jedoch grundsätzliche ernstzunehmende ethische Bedenken, die die Herkunft der Zellen und ihre Gewinnung aus Embryonen betreffen, die ernst zu nehmen sind. Ein Ausweg könnte die Gewinnung von adulten Stammzellen aus Pankreata von Organspendern oder aus körpereigenem Pankreasgewebe darstellen. Diesem Ziel widmet sich ein Forschungsprojekt am Deutschen Diabetes-Forschungsinstitut. Das Problem der Stammzellen ist allerdings klar von der Diskussion über die Chancen und Risiken der Gentechnik abzugrenzen. Die Gentechnologie ist ein ganz entscheidendes Werkzeug, um unser Verständnis über die Entstehung verschiedener Erkrankungen zu verbessern. Die Verwendung gentechnologischer Methoden ist in keinem modernen Labor mehr wegzudenken und hat gerade auf dem Gebiet der Diabetologie in den letzten Jahren weitreichende Fortschritte gebracht.


    DJ:

    Ganz grundsätzlich: Inwiefern hat Diabetes etwas mit Genen zu tun, mit Vererbung?

    Scherbaum:

    Es ist wichtig klarzumachen, dass eine gewisse genetische Veranlagung für Diabetes vorhanden sein muss, damit man die Erkrankung bekommt. Aber die Genexpression, also wie sich das Genmuster letzten Endes beim einzelnen ausdrückt, ist sehr unterschiedlich. Abhängig von zahlreichen Begleitumständen, wie Ernährung, Körpergewicht, Medikamenten u. a., werden die Gene unterschiedlich in körpereigene Eiweißstrukturen umgesetzt.

    DJ:

     Welche Rolle spielt die Gentechnik in der Diabetologie?

    Scherbaum:

    Insulin wird ja heutzutage gentechnologisch hergestellt — das ist einer der technologischen Fortschritte: Er erlaubt es, humanes Insulin herzustellen, ohne den Umweg über chemische Modifizierung von tierischen Insulinen. Diese Verfahren bedienen sich zwar auch der "Gentechnologie", sie werden aber heute als ganz selbstverständlich hingenommen: Man kennt das bestimmte Gen, inseriert es (fügt es also ein) in Bakterien; diese Bakterien produzieren dann in diesem Falle Insulin; das Insulin wird dann durch verschiedene Verfahren wieder von den bakteriellen Bestandteilen gereinigt. Das Verfahren will sich keiner mehr wegdenken. Und hier hat ja Deutschland eine herausragende Rolle gespielt: In Hessen hatte vor Jahren Hoechst (heute Aventis) die weltweit erste Produktionsanlage gebaut.

    DJ:

     Und welche Rolle spielt die Gentherapie in der Behandlung von Menschen mit Diabetes?

    Scherbaum:

    Eines vorweg zu der ganzen Diskussion: Lange vor der Gentherapie kommt die Gendiagnostik — die nächste Ära wird zunächst die Ära der Gendiagnostik sein. Wir müssen zunächst wissen, in welcher Weise die Gene eine Rolle spielen bei der Entstehung des Diabetes sowie bei den Diabeteskomplikationen. Natürlich ist es auch wichtig herauszufinden, bei welchen Untergruppen von Patienten bestimmte Konstellationen von Genen eine Rolle spielen. Diese Information kann man dann für die Therapie und Intervention berücksichtigen. Wenn wir einmal so weit sind in der Gendiagnostik, kennen wir die Risikogruppen unter den Diabetikern und können bei ihnen gezielter therapieren — u.a. auch mit konventionellen, also schon etablierten Methoden. Das ist ein entscheidender Punkt, wenn man an die große Diskussion der Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems denkt.

    DJ:

    Inwiefern würde bei der Finanzierungs-Diskussion eine fortgeschrittene Gendiagnostik eine Rolle spielen?

    Scherbaum:

    Damit stellte sich die Frage, ob man denn alle Menschen in Deutschland jedes Jahr screenen und damit per Reihenuntersuchungen nach Krankheiten fahnden kann. Natürlich geht das nicht. Es wäre aber schon viel geholfen, wenn man wüßte, bei wem sich solche Untersuchungen von vornherein mehr lohnen würden als bei anderen, und wenn man auch wüßte, bei welchen Gruppen von Diabetikern sich eine intensive Therapie lohnen würde, damit Spätkomplikationen verhindert werden können. Dann könnte man auch eine geeignete Differentialtherapie erarbeiten, wobei verschiedene Substanzen eingesetzt werden, die unterschiedlich wirken und an unterschiedlichen Punkten angreifen. Davon sind wir zum Beispiel bei den oralen Antidiabetika weit entfernt...

    DJ:

     ...Sie meinen Pharma Economics"... ?

    Scherbaum:

    ...Pharmaco-Genomics! Bei welchen Menschen und unter welchen Bedingungen führt eine bestimmte Konstellation von Genen zu einer Erkrankung? Und wie kann ich die Veränderung mit Medikamenten beeinflussen? Es geht dabei gar nicht so sehr um die Verbindung der Gene mit der Kurzzeitwirksamkeit von Medikamenten, sondern auch um ihren Einfluss auf Diabetesfolgen. Dieses Feld entwickelt sich erst neu, hier brauchen wir das ebenfalls ganz junge Fachgebiet der Biomathematik: Man muss eine enorme Datenfülle bewältigen und ganze Gencluster analysieren, um zu sehen, was unter welchen Bedingungen wie und womit korreliert. Weitere Frage: Wie hängen bestimmte Genmuster mit bestimmten Risikogruppen zusammen? Die Gendiagnostik kommt in den meisten Gebieten der Diabetologie lange vor der Gentherapie.

    DJ:

    Wo sehen Sie die Chancen der Genforschung im Zusammenhang mit Diabetes?

    Scherbaum:


    Interview in DDFIUnser Institut hat zusammen mit einer Firma neue Möglichkeiten entwickelt, um die Messenger-RNA in Blutproben zu stabilisieren — konkret heißt das: In großen Hausarztstudien können wir jetzt mit Zusatz bestimmter Substanzen aus dem uns zugeschickten Blut die Genexpression messen. Wir sind dabei, das Verfahren in mehreren europäischen Studien anzuwenden, um zu sehen, welche Genaktivierung bei welchen Menschen zu Diabetes und zu Folgeerkrankungen des Diabetes führt. Man nennt das Genexpressions-Analyse. Das ist eine Vorbedingung für Gentherapie bei Diabetikern. Therapeutische Konsequenzen folgen erst viel später — selbst bei Diabetesformen wie MODY, bei denen man schon den genetischen Defekt kennt, aber jetzt noch keine therapeutischen Konsequenzen ziehen kann. Zur Zeit hört man immer wieder Politiker, die für Gentherapie plädieren und sagen, man könne dann "chronische Krankheiten wie Diabetes endlich heilen": Keiner sagt mir aber wie! Ich habe den Eindruck, dass die Gendiskussion zum Diabetes weit weg von der Realität geführt wird.

    DJ:

     Wie lange braucht man nach Ihrer Einschätzung, bis der von Ihnen zitierte Bereich der Gendiagnostik für Diabetiker genutzt werden kann?

    Scherbaum:

     Beim Diabetes, und vor allem beim großen Bereich des Typ 2 Diabetes, sind sehr viele Gene beteiligt, erst recht bei der Entwicklung von Diabeteskomplikationen. Wenn man sich das vor Augen führt, wird einem der lange Weg klar, der beschritten werden muss.


     

    Martin:

    Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die Rechnung der letzten Jahre: "Wir entschlüsseln das Genom, und dann wissen wir Bescheid" geht nicht auf. Ein Beispiel aus unserem Institut: Wir wissen, dass eine Maus mit einem bestimmten Gen einen Typ l Diabetes bekommt. Wenn wir also eine Maus züchten, die dieses Gen nicht mehr hat (man nennt das "Knock-out-Modelle", Anm. d. Red.), entwickelt die Maus diese Form des Diabetes nicht mehr — aber: Wenn wir die Maus lange genug beobachten, bekommt sie plötzlich eine neurologische Erkrankung. Fazit: Kennt man die Funktion eines bestimmten Genes, so weiß man noch lange nicht, was dieses Gen zusammen mit anderen Genen macht — der Kontext ist unklar.

    Die Gentechnologische Abteilung

    ...am Deutschen Diabetes-Forschungsinstitut (DDFI)
    Am DDFI sind gleichzeitig Klinik und hochrangige Forschung angesiedelt: Es gibt eine Forschergruppe zur Gendiagnostik sowie zur Stammzellentherapie...;dort arbeiten ca. 20 Personen. Im Vergleich zu anderen deutschen Instituten ist das Düsseldorfer Institut "bezogen auf Diabetes das am besten bestückte", so DDFI-Direktor Prof. Dr. W. A. Scherbaum. Andere größere Zentren gibt es zum Beispiel in Tübingen, Berlin, Aachen und Hannover. Das DDFI arbeitet in dem wichtigen Bereich Datenanalyse (siehe oben) zusammen mit dem Biomathematiker Dr. Trajanowski (Wien), einem früheren Mitarbeiter von Celera-Chef Craig Venter (u. a. Veröffentlichung der detaillierten Karte des menschlichen Erbgutes in diesem Jahr).

     

    Scherbaum:

    Übrigens war es ja eine große Überraschung, dass der Mensch sich im Bereich der Gene kaum vom Schimpansen und gar nicht so sehr von der Fruchtfliege unterscheidet — es geht eben nicht nur um die Anordnung der Gene, sondern auch um deren Aktivierung und das Zusammenspiel der verschiedenen Proteine in einer Zelle und einem Organ, das wiederum stark von Umweltfaktoren, z. B. der Nahrungsaufnahme, abhängig sein kann.

    DJ:

    Können Sie ein weiteres aktuelles Beispiel nennen, wie Sie an Ihrem Institut im Bereich Gendiagnostik arbeiten und was konkret wir Menschen davon zu erwarten haben?

    Martin:

    Oberarzt  Priv.-Doz. Dr. med. Stephan Martin
    Prof. Dr. med. Stephan Martin: "Kennt man die Funktion eines bestimmtes Genes, so weiß man noch lange nicht, was dieses Gen zusammen mit anderen Genen macht."
    Wir wissen heute, dass 50 Prozent der Dialysepatienten, die einen Diabetes haben, nach 2 Jahren verstorben sind — meist an Herzinfarkt, Schlaganfall oder einer beschleunigten Arteriosklerose (Arterienverkalkung, Anm. d. Red.). Wir haben seit eineinhalb Jahren eine Studie am Laufen, bei der allen Patienten eines Dialysezentrums Blut abgenommen worden ist. Wir analysieren nun die Gene, wir haben also mit einzelnen Genen angefangen. Parallel beobachten wir, wer von den Patienten nach einem oder nach 2 Jahren verstorben ist. Die Fragen, die sich ergeben: Hätten wir das vorhersagen können? Wie unterscheiden sich diejenigen, die verstorben sind, in ihren Genen von jenen, die nicht gestorben sind? Wüßte man im vorhinein, wer aufgrund seiner Konstellation das höhere Sterberisiko hat, so könnte man bei ihm zusätzliche Therapien implementieren, um dem Patienten eine bessere Lebensperspektive zu geben.

    Scherbaum:

    Man weiß ja heute aus Studien, dass 30 Prozent der Diabetiker keine Nephropathie, also Nierenkrankungen, entwickeln — egal wie gut oder schlecht ihre Blutzuckerwerte sind. Und rund 80 Prozent der Typ-2-Diabetiker bekommen nicht die gefährliche proliferative Retinopathie, auch wenn die Blutzuckereinstellung schlecht ist. Beide genannten Gruppen haben genetische Schutzmechanismen bisher unklarer Natur. Würde man aufgrund der genetischen Struktur von jemandem wissen, dass er kein Risiko für die zitierten Folgeerkrankungen hat, so könnte man eventuell bei diesem Menschen auch eine weniger strenge Blutzuckereinstellung akzeptieren.

    DJ:

    Herr Prof. Scherbaum, Herr Dr. Martin, danke für die Informationen.

    aus Diabetes-Journal 11/2001 S. 78-80

    Dieser Beitrag wurde zuletzt im Januar 2005 inhaltlich aktualisiert
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