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Schwerpunkt: Endokrinologie / Diabetologie

Hypoglykämie / Hypoglykämien


Definition
Erniedrigte Plasma-Glukose-Werte von unter 50 mg/dl bzw. unter 2,8 mmol/l. Klinisch sind diese Werte begleitet von typischen adrenergen und/oder zentralvenösen Symptomen. Typisch ist eine rasche Besserung der Symptome nach Glukose-Zufuhr.

Physiologie und Pathogenese
Die Glukose-Konzentration im Blut wird vom Organismus permanent registriert und in einem Zielbereich zwischen 60-150 mg/dl (3,3 - 8,3 mmol/l) einreguliert. Insulin wird nach einem Glukose-Anstieg vermehrt ins Blut ausgeschüttet und senkt den Blutzucker. Dagegen sorgen Glukagon und weitere Hormone mit kontrainsulinärer Wirkung dafür, dass die Blut-Glukose-Werte ein Minimalniveau nicht unterschreiten. Als Folge einer Unterzuckerung kommt es zu einem Anstieg der Plasmaspiegel von Glukagon, Adrenalin, Noradrenalin, Wachstumshormonen und Cortisol.

Ursachen der Hypoglykämie
a) Therapiefehler bei Diabetes mellitus:
Die bei weitem häufigste Ursache einer Hypoglykämie sind Therapiefehler bei Diabetikern, insbesondere bei einer intensivierten Insulintherapie, bei anderen Formen der Insulintherapie und bei Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen therapiert werden. Zu Hypoglykämien kommt es dabei insbesondere dann, wenn Mahlzeiten verzögert oder ausgelassen werden, die zugeführte Kohlenhydratmenge falsch eingeschätzt wird, Essstörungen vorliegen oder die körperliche Aktivität gesteigert wurde, ohne die Insulindosierung zu reduzieren.

b) Hypoglycaemia factitia:
Dabei wird die Hypoglykämie z.B. durch Injektion von Insulin oder die Einnahme von Sulfonylharnstoffen bewusst ausgelöst. Dies kann durch entsprechende biochemische Untersuchungen nachgewiesen werden.

c) Spontane Hypoglykämie bei Menschen ohne Diabetes:
Wenn eine Hypoglykämie bei Nichtdiabetikern auftritt, so müssen u.a. ein Insulinom, ein Insulin produzierender Tumor des Pankreas und eine funktionelle Hypoglykämie ausgeschlossen werden. Bei der funktionellen (reaktiven) Hypoglykämie handelt es sich um eine inadäquat hohe und verlängerte Insulinsekretion nach Glukosegabe. Diese tritt insbesondere bei jüngeren organisch gesunden Frauen auf und kann durch einen verlängerten oralen Glukosetoleranztest mit Bestimmung von Insulin und Glukose nachgewiesen werden.
Hypoglykämien können auch im Gefolge verschiedener Erkrankungen auftreten wie Hypophyseninsuffizienz, Nebennierenrindeninsuffizienz, hereditäre Fruktoseintoleranz, schwere Leber- oder Nierenerkrankung, große Tumoren nicht-pankreatischen Ursprungs, Anorexia nervosa, Schock, Sepsis, Alkoholexzess und bei verschiedenen Medikamenten.

d) Hypoglykämien bei Kindern:
Hypoglykämien bei Kindern bedürfen einer speziellen pädiatrischen Abklärung. Hier sind unter anderem Enzymdefekte im Kohlenhydratstoffwechsel, wie z.B. hereditäre Fruktoseintoleranz, Glykogenose Typ 1 oder Galaktosämie auszuschließen.

Symptome der Hypoglykämie
a) Autonome Symptome:
Solche Symptome sind Zittern, Schweißausbruch, Tachykardie, Blutdruckanstieg, Angst, innere Unruhe, Hyperventilation und Wärmegefühl. Außerdem können Hunger, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen und Benommenheit auftreten.

b) Neuroglukopenische Symptome:
Diese Symptome sind Ausdruck einer schweren Hypoglykämie. U.a. können Schwindel, Kopfschmerzen, Verwirrtheit bzw. inadäquates Verhalten, Denk- und Sprechstörungen, Konzentrationsschwäche, Krämpfe, Hypothermie, Atem- und Kreislaufinsuffizienz auftreten.

Diagnostik der Hypoglykämie
Zunächst sind Hypoglykämien bei Diabetes und bei Nichtdiabetikern zu unterscheiden. Ferner sollten Nüchtern-Hypoglykämien und postprandiale Hypoglykämien (im Anschluss an Mahlzeiten) differenziert werden. Nüchtern-Hypoglykämien weisen meist auf organische Ursachen hin und gehen oft mit neuroglukopenischen Symptomen einher. Hypoglykämien nach Mahlzeiten sind häufig reaktiv bedingt und weniger gefährlich.

Der Nachweis der Hypoglykämie geschieht mit der Blut-Glukose-Bestimmung. Eine Abklärung der Ursachen macht oft aufwändige Untersuchungen erforderlich.

Labormethoden: Zur Abklärung einer Nüchtern-Hypoglykämie insbesondere zum Nachweis oder Ausschluss eines Insulinoms dient unter anderem der Hungertest über 72 Stunden mit Bestimmung von Blutglukose, Insulin, Proinsulin und C-Peptid. Der Test muss unbedingt unter stationären Bedingungen und unter ständiger Überwachung durchgeführt werden.

Therapie der Hypoglykämie
Die Akutbehandlung der Hypoglykämie besteht in der Zufuhr von Glukose. Wenn der Patient nicht bewusstlos und schluckfähig ist, so sollten rasch resorbierbare Kohlenhydrate z.B. in Form von Zuckerlösung oder Fruchtsäften gegeben werden. Bei bewusstseinsgestörten oder bewusstlosen Patienten muss der Blutglukose-Spiegel durch i.v. Glukosezufuhr angehoben werden. Unterstützend wirkt die intravenöse oder intramuskuläre Gabe von Glukagon (1 mg). Glukagon bewirkt die Ausschüttung von Glukose aus den Glykogenspeichern der Leber und führt zu einem vorübergehenden Blutzuckeranstieg. Nach einer anfänglichen Besserung der Symptome können aber erneut schwere und lang andauernde Hypoglykämien auftreten (z.B. unter Sulfonylharnstofftherapie). Daher ist bei unklarer Situation eine stationäre Überwachung notwendig. Spontan auftretende Hypoglykämien bei Nichtdiabetikern müssen unbedingt diabetologisch-endokrinologisch abgeklärt und dann speziell behandelt werden.

Autor: Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum
Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie
des Universitätsklinikums Düsseldorf

Quelle: www.hypoglykaemien.de